Aphantasie erklärt: Manche Menschen können keine mentalen Bilder erzeugen

Wie kann man aus dem Gedächtnis zeichnen, wenn man keine mentalen Bilder erzeugen kann? Offensichtlich muss man nicht mit dem geistigen Auge "sehen", um diese Aufgaben zu erfüllen.
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Inhaltsübersicht

Dieser Artikel wurde von The Conversation unter einer Creative-Commons-Lizenz neu veröffentlicht. Lesen Sie den Originalartikel.

Wie oft haben Sie schon eine Buchverfilmung gesehen und waren enttäuscht, wenn eine Szene nicht ganz so war, wie Sie sie sich vorgestellt hatten? Oder vielleicht sah eine Figur nicht so aus, wie Sie sie sich vorgestellt haben?

Wenn man die meisten Menschen bittet, sich ein Bild von einer ihnen vertrauten Person zu machen, können sie diese in ihrem Kopf sehen. Mit anderen Worten, es ist eine visuelle, mentale Erfahrung – ähnlich dem, was wir sehen würden, wenn die Person direkt vor uns stünde.

Es hat sich jedoch herausgestellt, dass dies nicht auf alle zutrifft. Manche Menschen berichten, wenn sie gebeten werden, sich ein Bild zu machen, dass sie nichts “sehen” können. Diese kürzlich entdeckte Variante der menschlichen Erfahrung wurde 2015 als Aphantasie bezeichnet. Man schätzt, dass 2 bis 5 % der Bevölkerung ein Leben lang nicht in der Lage sind, Bilder vor ihrem geistigen Auge zu erzeugen.

Aber wie können Sie sich an Details eines Objekts oder eines Ereignisses erinnern, wenn Sie es nicht in Ihrem Kopf sehen können? Dieser Frage sind meine Kollegen und ich in einer unserer jüngsten Studien nachgegangen.

Studium der Aphantasie

Wir untersuchten die Leistung des visuellen Gedächtnisses von Personen mit Aphantasie im Vergleich zu Personen mit typischer Bildsprache.

In der Studie wurden den Teilnehmern drei Bilder eines Wohnzimmers, einer Küche und eines Schlafzimmers gezeigt, die sie jeweils aus dem Gedächtnis zeichnen sollten. Ihre Zeichnungen wurden von über 2 700 Online-Bewertern objektiv geprüft, die die Objektdetails (wie die Objekte aussehen) und die räumlichen Details (Größe und Lage der Objekte) bewerteten.

Wir hatten erwartet, dass es Menschen mit Aphantasie schwer fallen würde, ein Bild aus dem Gedächtnis zu zeichnen, da sie diese Bilder nicht vor ihrem geistigen Auge abrufen können.

Auf der linken Seite ein Bild, das den Teilnehmern gezeigt wurde, und auf der rechten Seite Beispiele für ihre Zeichnungen.
Beispiele für Zeichnungen aus dem Experiment.
Zoe Pounder, zur Verfügung gestellte Autorin

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Menschen mit Aphantasie die Objekte in der richtigen Größe und an der richtigen Stelle zeichnen, aber sie geben weniger visuelle Details wie z. B. die Farbe an und zeichnen auch eine geringere Anzahl von Objekten im Vergleich zu typischen Bildbearbeitern.

Einige Teilnehmer mit Aphantasie merkten sich den Gegenstand durch Sprache – z. B. indem sie die Wörter “Bett” oder “Stuhl” schrieben – anstatt den Gegenstand zu zeichnen. Dies deutet darauf hin, dass Menschen mit Aphantasie alternative Strategien wie verbale Repräsentationen anstelle des visuellen Gedächtnisses verwenden könnten. Diese Unterschiede in den Objekt- und Raumdetails waren nicht auf Unterschiede in den künstlerischen Fähigkeiten oder im Zeichenaufwand zurückzuführen.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit Aphantasie ein intaktes räumliches Vorstellungsvermögen haben – die Fähigkeit, die Größe, Lage und Position von Objekten in Relation zueinander darzustellen. Dieser Befund wurde in einer anderen unserer Studien bestätigt, in der untersucht wurde, wie Menschen mit Aphantasie bei einer Reihe von bildbezogenen Gedächtnisaufgaben abschneiden.

Wir fanden heraus, dass Personen, die nicht in der Lage waren, visuelle Bilder zu erzeugen, bei diesen Aufgaben genauso gut abschnitten wie Personen mit typischer Bildvorstellung. Wir fanden auch Ähnlichkeiten in der Leistung bei der klassischen mentalen Rotationsbildaufgabe, bei der Menschen Formen betrachten, um herauszufinden, ob es sich um dieselbe gedrehte Form oder um unterschiedliche Formen handelt.

Diese Leistung zeigt, dass man nicht mit dem geistigen Auge “sehen” muss, um diese Aufgaben auszuführen. Andererseits ist dokumentiert, dass einige Menschen mit Aphantasie – aber nicht alle – eher Schwierigkeiten beim Erkennen von Gesichtern haben und auch ein schlechtes autobiografisches Gedächtnis – die Erinnerung an Lebensereignisse – aufweisen, eine Art von Gedächtnis, von dem man annimmt, dass es stark auf visuelle Bilder angewiesen ist.

Das Porträt einer Frau mit einer Zeichnung einer Galaxie über ihrem Gehirn.
Manche Menschen können keine visuellen Erinnerungen sehen.
Shutterstock/sun ok

Leben mit Aphantasie

Menschen mit Aphantasie beschreiben auch andere Variationen in ihrem Erleben. Nicht bei allen Menschen mit Aphantasie fehlt die Erfahrung von Bildern mit allen Sinnen vollständig. Manche können zwar eine Melodie im Kopf hören, sich aber keine visuellen Bilder dazu vorstellen.

Ebenso hat die Forschung gezeigt, dass einige Menschen mit Aphantasie trotz ihrer Unfähigkeit, visuelle Bilder auf Abruf zu erzeugen, dennoch von visuellen Bildern in Träumen berichten. Andere sagen, ihre Träume seien nicht visuell, sondern bestünden aus konzeptionellen oder emotionalen Inhalten.

Diese faszinierenden Unterschiede verdeutlichen einige der unsichtbaren Unterschiede, die zwischen uns bestehen. Auch wenn sich viele Menschen mit Aphantasie nicht bewusst sind, dass sie die Welt anders erleben, wissen wir, dass Menschen mit Aphantasie ein erfülltes und berufliches Leben führen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass Menschen mit Aphantasie in einer Reihe von wissenschaftlichen und kreativen Branchen arbeiten.

Für viele sind visuelle Bilder ein wesentlicher Bestandteil ihres Denkens, ihrer Erinnerung an vergangene Ereignisse und ihrer Zukunftsplanung – ein Prozess, den sie erleben, ohne es aktiv zu wollen. Wir wissen noch nicht, warum es solche Unterschiede in der Bildgebung gibt und was die Grundlage dafür ist. Aber, wie die Aphantasie gezeigt hat, werden viele unserer geistigen Erfahrungen nicht universell erlebt. In der Tat gibt es unter uns eine Reihe von unbewussten, aber faszinierenden Variationen.

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Kommentare insgesamt (5)

I have suspected that I had memory problems from a young child. I am 77 years old. As a child I didn’t worry about the fact that I couldn’t count sheep for example. I couldn’t visualize when I tried. I could not remember the names of things. However I did very well on multiple choice tests, where the answer was visible among the choices. I also did well on test where I needed to describe a system such as how an automobile engine works. Or what are the relationships between Stellar objects in terms of mass, etc. It seems my entire conscious life I have only talked to myself and tried to describe what my subconscious was experiencing. I have found that I can attach to this subconscious information but I will be in a daydream state in consciousness, totally disconnected from reality which has proven to be dangerous, extreme tunnel vision. while creating art I find I enjoy being and creating in that daydream state. Playing music is similar. I get lost in patterns of improvising. I find I can remember names of people and things better when I relax on the question and don’t try to see an image. The answer just comes to me. I have found many unique advantages to being isolated from visual memory. I can use in Art, Music etc.

I’ve been aware of my Aphantasia for a year or two now. I can draw images of placeres and things I’ve seen/experiences. I do not draw things from an image, I draw things from my “knowing”. My memories are made of (things, sub things, definitions) data elements of what I “know”. My memory has no images in it. My “knowing” is so integrated in my mind, I go without ever thinking I’m missing images. My “knowing” is my primary thought pattern.

Hello I would add that I often see on closing my eyes different colours in my mind despite being  aphantagic in awakened state but visual in dreaming state. However I cannot recollected visual images on awaking.

Is seeing  block Colours unusual it is particularly vivid when meditating or in deep thought processing

 

 

 

Hi Dr Zoë,

At the ripe old age of 66, I have finally got a definition & term for the way I think! I have always struggled with faces, and when asked to visualise people or places, or even objects, always come up blank. I can, for example, ask someone else to imagine a bright pink camel wearing sunglasses and green wellington boots, then find that when I ask them not to visualise said camel, that they struggle not to, whereas I couldn’t visual the camel at the start. However, I have a superb biographical memory, remembering places, people (and their names), and situations from as early as 18 months; I suffer from PTSD and seem to dream almost non-stop when I finally get to sleep – although rarely about fims I have watched, or experiences I am currently having. But we are all different, and I think I have long been aware of this inability to visualise. It also takes considerable effort to memorise poetry (or prose, or, at one time Bible verses). To add insult to injury, I am also dyspraxic!

Great article, Zoë. As a non-academic, you explained this very well.